„Ernst Busch singt“ – Konrad Wolfs letzter Film auf DVD
Ein Leben und ein halbes Jahrhundert
Ralf Hohmann, Unsere Zeit vom 13. September 2024
Gedreht auf 35 Millimeter, dem meistgenutzten Kinofilmformat vor dem Einsetzen der Digitalisierung, zum Großteil in Schwarz-Weiß, erzählt dieser Film in sechs Teilen, die zusammengefügt als Gesamtwerk überzeugen, aber auch allein jeweils für sich stehen, die Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Verbunden sind sie durch das Leben des Sängers, Schauspielers und Agitators Ernst Busch, dessen Rezitationen, Lieder und Kommentare zum Zeitgeschehen mal aus dem Off, mal mit optischer Präsenz den im besten Sinne roten Faden liefern. Zu hören sind Texte aus der Feder von Bertolt Brecht, Erich Weinert, Hanns Eisler, Johannes R. Becher und Paul Dessau.
Geboren in Kiel am 22. Januar 1900, spiegelt Buschs Leben das 20. Jahrhundert: Vom Matrosenaufstand in seiner Geburtsstadt, den Arbeiterkämpfen im Berlin der 1920er Jahre, dem aufkommenden Faschismus, Flucht, dem Spanischen Krieg, der Verhaftung wegen Hochverrats und Verbreitung kommunistischer Propaganda engagiert sich Busch, der mehrfach nur knapp dem Tode entrann, ab 1945 mit all seiner Kraft für das bessere Deutschland. Ein Blatt vor den Mund hat er auch in der DDR nicht genommen, mitunter mit scharfem Wort, aber dabei immer das Vorankommen des Sozialismus im Auge.
Trotzdem ist „Busch singt“ kein nur biografischer Film über Busch, aber auch kein klassischer Dokumentarfilm über die Zeitläufte der von zwei Weltkriegen und dem Spanischen Krieg (1936 – 1939) geprägten Jahre. Viel eher eine chronologische Collage vom Kampf gegen Krieg, Faschismus und Elend durch alle Niederlagen hindurch. Nicht geschichtsoberlehrerhaft – das würde man Busch ohnehin nicht abnehmen – oder mit erhobenem Zeigefinger von einem der weiß, wo’s langgeht.
Die sechs Teile „Aurora-Morgenrot“, „Nur auf die Minute kommt es an“, „1935 oder Das Fass der Pandora“, „In Spanien“ „Ein Toter auf Urlaub“ und „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ wurden 1981/82 unter der künstlerischen Leitung des Regisseurs Konrad Wolf vom Fernsehen der DDR (in Zusammenarbeit mit der DEFA Gruppe 67 und der Akademie der Künste) produziert und am 21. November 1982 auf der Internationalen Dokumentar- und Kunstfilmwoche in Leipzig uraufgeführt.
Es war Konrad Wolfs letzter Film, die Uraufführung erlebte er nicht mehr. 1925 im württembergischen Hechingen als Sohn des Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf geboren, 1933 Emigration, ab 1934 in der Sowjetunion, trat Wolf 17-jährig in die Rote Armee ein. 1945, sowjetischer Leutnant inzwischen, nahm er an der Schlacht um Berlin teil, war kurze Zeit in Bernau bei Berlin, das ihn 1975 zum Ehrenbürger machte, als Stadtkommandant eingesetzt. Wolfs Film „Ich war neunzehn“ aus dem Jahr 1968 erzählt von seiner Kriegserfahrung. Ab 1949 absolvierte er ein Regiestudium an der Moskauer Filmhochschule. 1954/55 entstand sein erster Film („Einmal ist keinmal“), fortan war er DEFA-Regisseur. Vier Jahre später räumte sein Film „Sterne“ einen Preis bei den Filmfestspielen in Cannes ab, sehr zum hämischen Missfallen des „Spiegel“, der am 26. Mai 1959 schrieb: „Die Staatsfilmgesellschaft Defa, die mit beachtlichem Fleiß und allerlei Tricks bemüht ist, internationale Anerkennung zu erlangen, vermochte sich mit dem Film nicht nur Zutritt zu den Filmfestspielen in Cannes zu erschmuggeln. Sie wurde sogar, zum Entsetzen der bundesdeutschen Cannes-Fahrer, mit einem Sonderpreis entlohnt, wohingegen Westdeutschlands Traum-Industrielle, die mit dem Praliné-Soldaten-Schwank ‚Helden‘ sowie der Fahnenflucht-Story ‚Kriegsgericht‘ aufwarteten, undekoriert nach Hause fahren mussten.“ Konrad Wolf war Mitglied des ZK der SED, seit 1965 Präsident der Akademie der Künste. Der Tod ereilte ihn, 56-jährig, am 7. März 1982. Die Leben von Wolf und Busch hatte sich bereits 1936 im Moskauer Exil gekreuzt, beide hatten Rollen im Spielfilm „Kämpfer“ (Regie Gustav von Wangenheim). Bei den nun erstmals auf CD ausgekoppelten Filmteilen von „Busch singt“ („1935 oder Das Fass der Pandora“ und „Ein Toter auf Urlaub“) führte Konrad Wolf selbst Regie. In „Ein Toter auf Urlaub“, geht Wolf filmisch den Spuren Buschs in den Internierungslagern Südfrankreich nach, tritt auch selbst vor die Kamera. Die Verurteilung Buschs in Moabit, das Zuchthaus Brandenburg, aus dem Busch Ende April 1945 von Sowjetsoldaten befreit wird, die Rückkehr nach Berlin am 1. Mai 1945 sind weitere Stationen.
Die Ernst-Busch-Gesellschaft, die Friedrich-Wolf-Gesellschaft und die DEFA-Stiftung veröffentlichen den Film digital aufbereitet in Spielfilmlänge auf CD. Die Begleittexte gehen über ein Booklet hinaus, die Busch- und Wolf-Experten Jürgen Schebera, Carola Schramm, Carmen Bärwaldt, Hans-Eckardt Wenzel steuern aussagekräftige und lesenswerte Einschätzungen zu Konrad Wolf und Ernst Busch als politisch Persönlichkeiten bei.
CD und Buch kommen genau zur richtigen Zeit. Das Jahr 1935 – vier Jahre vor dem Beginn des großen Krieges öffnete sich das Fass der Pandora und ließ einen Blick zu auf all den Unrat, die Übel und das Leid, das kommen sollte. 2024 – von den Kriegsertüchtigern hören wir, dass es noch fünf, vielleicht sechs Jahre dauert, bis es wieder soweit ist. In Minute 4 des Films singt Ernst Busch:
„Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn? Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün. Was man auch baut – es werden stets Kasernen. Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn? Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen.“
Sollte er wirklich noch einmal recht behalten?
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